Nach dem Afghanistan-Desaster: Wer waren und sind die Illusionisten? Die Friedensbewegung und DIE LINKE oder die Kriegsbefürworter?

KV MannheimPressemitteilung

CDU, SPD, Grüne, FDP „überrascht“ und Opfer von „Fehleinschätzungen“

20 Jahre tobte der „Krieg gegen den Terror“, den die USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom Zaun brachen, und dem die NATO-Staaten, allen voran die Bundesrepublik, willig folgten. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck verirrte sich zu der Aussage: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“. Die LINKE -Vorgängerpartei PDS sagte damals: „Mehr Sicherheit ist nur durch globale Gerechtigkeit zu erreichen“.

Eine wichtige Stimme der Friedensbewegung, der Kasseler Friedensratschlag, stellte am 7.12.2001 klar: „Außer zur Selbstverteidigung ist Krieg selbst Terror und schon deshalb kein geeignetes Mittel zur Terrorbekämpfung. (…) Der weltweit auftretende Terrorismus muss im Rahmen einer international anerkannten Rechtsgrundlage unter Verantwortung der Vereinten Nationen bekämpft werden. (…) Ein Recht auf Rache gibt es international ebenso wenig wie im nationalen Bereich ein Recht auf Selbstjustiz. Mehr Schutz gegen den Terrorismus erwächst vor allem aus sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Die verheerenden Folgen einer neoliberalen Globalisierung, die ausschließlich die reichen Industrieländer begünstigt, müssen beseitigt werden, gerechte Handelsbeziehungen und mehr Entwicklungshilfe sind notwendig, Abrüstung statt Aufrüstung kann Mittel für humanitäre Programme freisetzen.“

Dem ist auch nach 20 Jahren nichts hinzuzufügen. Die Kriegsbefürworter*innen hatten 20 Jahre lang eine gravierende „Fehleinschätzung“. Da geht es nicht, wie die Kanzlerin in der Sondersitzung des Bundestages am 25.08.2021 suggerierte, um das billige Prinzip: Hinterher ist man immer schlauer.

„Warum konnte in den siebziger Jahren eine junge Frau im T-Shirt durch Kabul spazieren – und heute nicht mehr?“
 
Diese Frage stellt die Neue Zürcher Zeitung am 23.8. und blamiert damit alle, die meinen, der Afghanistan-Krieg sei um der Rechte der Mädchen und Frauen und für neue Brunnen geführt worden. Afghanistan hatte seit 1919 seine eigene gesellschaftliche Entwicklung unter einer fortschrittlichen Monarchie, die nach einem Putsch 1973 in eine Republik überging, deren Präsident Daoud sich zunehmend an die UdSSR anlehnte. Er wurde seinerseits 1979 durch einen Staatsstreich der Demokratischen Volkspartei gestürzt. Afghanistan geriet Ende der 70er-Jahre in das Fadenkreuz geopolitischer Großmachtinteressen im Kalten Krieg: 1979 Einmarsch der UdSSR zur Unterstützung der neuen Regierung; Guerillakrieg der Mudschaheddin gegen die Regierung und die UdSSR, verbunden mit einem Bürgerkrieg. Die Mudschaheddin wurden von Pakistan, Saudi-Arabien, den Emiraten und den USA finanziert und ausgebildet. Der Bundesnachrichtendienst kooperierte ab 1985 ebenfalls mit den Mudschaheddin („Die Operation Sommerregen dient der Unterstützung der Aufständischen in Afghanistan (…) dies geschieht seit 1985 durch die Lieferung von Gerät und Material“ zitiert der WDR am 23.08.21 BND-Unterlagen). Die UdSSR musste 1989 schließlich ebenso erfolglos wie die NATO-Staaten in diesen Tagen aus Afghanistan abziehen.  

Ab 1994 bildete der Pakistanische Geheimdienst geflüchtete afghanische Koran-Schüler an Waffen aus, die sog. Taliban. Diese führten Krieg gegen die „Islamische Republik“ Afghanistan, 1996 bis 2001 errichteten die Taliban ein grausames Terrorregime in großen Teilen Afghanistans, welches nur von Pakistan, Saudi-Arabien und den Emiraten anerkannt wurde (allesamt keine Feinde der USA). Die USA führten unterdessen mit den Taliban Verhandlungen über eine Gas-und Öl-Pipeline durch Afghanistan, die allerdings scheiterten. Dann kamen die Terroranschläge der Al-Qaida vom 11. September 2001 und die USA eröffneten in Afghanistan den „Krieg gegen den Terror“, weil sich die Taliban weigerten, den Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden auszuliefern. Im Laufe der Jahre zeichnete sich immer mehr ab, dass Afghanistan über große Bodenschätze einschließlich Seltener Erden verfügt. Im Mai 2010 sagte der damalige Bundespräsident Horst Köhler dem Deutschlandradio: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ Es war seine letzte Dienstreise als Bundespräsident. Angeblich war das Ziel des US-Einsatzes „Enduring Freedom“, zu verhindern, dass von Afghanistan weiterhin Terroranschläge ausgehen, was nun von den Befürwortern des Afghanistaneinsatzes als Erfolg deklariert wird. Der weltweite Terror ist jedoch keineswegs zum Erliegen gekommen, er hat sich diversifiziert.

Regime-Change und Errichtung einer Zivilgesellschaft von Außen krachend gescheitert

Der Anspruch, in Afghanistan eine parlamentarische Demokratie westlicher Prägung sowie eine moderne Zivilgesellschaft zu errichten, war erstens vorgeschoben und zweitens vermessen. Die gesellschaftlichen Strukturen Afghanistans, das krasse Stadt-Land-Gefälle, die zentrifugalen Machtstrukturen der „War-Lords (Kriegsherren)“, die krasse Armut wurden ebenso ignoriert wie der zunehmend ungeliebte Besatzungscharakter der westlichen Militärpräsenz. Afghanistan verfügte aufgrund seiner Geschichte selbst über starke zivilgesellschaftliche Kräfte, die durch den 20-jährigen Krieg zermahlen wurden. Wen soll es wundern, dass eine afghanische Armee so schnell kollabiert, wenn Veteranen und Invaliden nicht versorgt werden, nur noch die Ärmsten rekrutiert werden können, die nichts zu gewinnen haben als vielleicht ihr teures Gewehr zu verkaufen, um nicht hungern zu müssen?
„Schon“ 2010 stellte ein Symposion der Universität Potsdam fest, dass die Afghanistanmission gescheitert ist und nur noch politisch-diplomatische Lösungen unter Einbeziehung aller afghanischen Kräfte und der umliegenden Staaten eine Perspektive haben. In der Tat kann Afghanistan z.B. ohne den Taliban-Unterstützer Pakistan gar nicht gedacht werden.
Was hätte mit der 1 Billion US-Dollar, die der Einsatz in den 20 Jahren gekostet hat, an Unterstützung einer Zivilgesellschaft in Afghanistan geleistet werden können? Terrorismus stützt sich letztendlich immer auf den Zorn ausgebeuteter, verarmter und missachteter Bevölkerungsteile.
 
Mit Krieg kann Terror nicht bekämpft werden. Nur Illusionisten mit großen Eigeninteressen glauben das Gegenteil.

 

ViSdP: DIE LINKE, Kreisverband Mannheim, Jori Fesser, T 6 37, 68161 Mannheim

28.08.2021

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