Gemeinsam für den Frieden – Friedenslogik statt Kriegsrhetorik - Demonstration und Kundgebung in Mannheim

10. Dezember 2014: Internationaler Tag der Menschenrechte - Friedenswinter 2014/2015

Friedenswinter 2014/2015 – 10. Dezember 2014

Redebeitrag für das Friedensplenum Mannheim

von Thomas Trüper (Stadtrat DIE LINKE)

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für soziale Gerechtigkeit und gegen ethnische und religiöse Hetzte,

Wir führen heute diese Demonstration gegen Kriegsgefahr und für zivile und friedensbewahrende Außen- und Innenpolitik durch am Internationalen Tag der Menschenrechte.

Was haben Krieg und Menschenrechte miteinander zu tun? Zweierlei.

Erstens: Jeder Krieg ist ein Angriff auf die grundlegendsten Menschenrechte wie das Recht auf Leben in allen Facetten, auf die Selbstbestimmung der Menschen, auf freie Ortswahl usw., denn in jedem Krieg werden Menschen getötet, auch und gerade, wenn sie keine Waffe tragen, in jedem Krieg werden Menschen von den wesentlichsten Grundvoraussetzungen des Lebens abgeschnitten wie Wohnen, Essen, Trinken, Gesundheitsversorgung, Bildung. In jedem Krieg werden Menschen Opfer von Gewalt und Vergewaltigung, sie werden verstümmelt und zu Flüchtlingen gemacht. Die Rechte der Menschen gelten nichts.

Das 3. Jahrtausend ist erst 14 Jahre jung, und hat doch schon so viele Kriege erlebt und erlebt sie immer noch. Viele, von denen wir kaum etwas wissen, weil sie von Politik und Medien als uninteressant klassifiziert werden. Aber wir wissen sehr viel über die Nachwehen der Balkankriege, über den Irakkrieg, den Afghanistankrieg, die Zerstörung Libyens und Syriens, die israelisch-palästinensischen Kriege und jüngst die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine. Hinzu kommt das neue Phänomen der breitflächigen Aggression von scheinbar freischwebenden Terrormilizen wie dem sogenannten „Islamischen Staat“. Jeder einzelne der genannten Kriege hat zu humanitären Katastrophen geführt. Die Menschenrechte liegen am Boden.

Das ist die eine Beziehung zwischen Krieg und Menschenrechten.

Die andere Beziehung zwischen Krieg und Menschenrechten ist die, dass die meisten Kriege des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts begonnen wurden angeblich im Namen der Menschenrechte: Als Interventionen gegen blutrünstige Unterdrückerregimes und für die Einführung der westlichen parlamentarischen Demokratie in den jeweiligen Ländern: Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien. Fast wäre noch Iran hinzugekommen. Ganz unumwunden geben die USA und auch die EU das Ziel vor: "Change Government". Oppositionelle Kräfte in den jeweiligen Ländern (oder im Exil) bekommen nicht die Chance, den gesellschaftlichen Widerstand zu entwickeln, den sie für notwendig halten und selber einzuschätzen, wie stark sie sind, sondern ihr Widerstand wird aus Großmachtinteressen heraus überbewertet, militarisiert und überrollt. Das desaströse Ergebnis sind zerfallende Staaten mit zügellosen War-Lord-Despotien. Die Zauberformel schlechthin für solche angeblich humanitären Interventionen war und ist immer noch der „Krieg gegen den Terror“, in dessen Verlauf z.B. die Terrormiliz Islamischer Staat überhaupt erst kreiert wurde, wie zuvor schon andere Milizen: „Der Krieg als Terrorzuchtprogramm“. So nennt das Jürgen Todenhöfer.

Den Afghanistankrieg bilanziert er im November diesen Jahres folgendermaßen (FR 20.11.2014):

Afghanistan ist „Das unfriedlichste Land der Welt: Die Nato hat keines ihrer Ziele in Afghanistan erreicht (…)? Die Afghanen starben in einem Krieg, der nicht ihr Krieg war.

Und Todenhöfer nennt 19 Punkte, wovon ich zwei zitiere:

1. Insgesamt 100 000 Afghanen wurden getötet (Ärzte gegen den Atomkrieg). Karzai sagte mir unter vier Augen, die Hälfte der Toten gehe auf das Konto der USA und der Nato. Allein im ersten Kriegsjahr wurden 1228 Streubomben mit je 250 000 Einzel-Sprengsätzen eingesetzt. Die Zahl der Verkrüppelten kennt niemand. Auch 3476 westliche Soldaten wurden sinnlos verheizt. Wofür sind sie gestorben? Welcher Politiker übernimmt dafür die Verantwortung?

19. Für die meisten Afghanen war der Krieg eine Tragödie. Ein befreundeter Anwalt, der afghanische Kriegsopfer betreut, schrieb mir vor ein paar Tagen: „Die meisten Waisenkinder gehen nicht mehr zur Schule. Kaum jemand kümmert sich um sie. Die Nachbarn und Verwandten müssen selbst kämpfen, um zu überleben. Vor allem die Lage der Mädchen ist tragisch. Mittellose Verwandte versuchen, sie spätestens mit 15 Jahren an heiratswillige Männer zu verkaufen. Für 1000 Dollar Brautgeld. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie und den der Mädchen zu sichern. Manchmal können wir im letzten Augenblick eingreifen. Aber wir wissen nicht, wie die Kinder überleben sollen. Alle leben in bitterster Armut. Jetzt vor dem Winter fehlt es wieder an allem.“

Es ist leider wahr: „Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen.“

Die Planung von Annexionskriegen mit menschenrechtlichen Legitimationsversuchen hat Tradition. Selbst der Eintritt in den gerade in diesem Jahr so viel erinnerten Ersten Weltkrieg und damit in die Europäische Katastrophe wurde schließlich seitens der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion von Philipp Scheidemann mit freiheitlichen Argumenten untermauert: „Wir in Deutschland hatten die Pflicht, uns gegen den Zarismus zu wehren, hatten die Aufgabe zu erfüllen, das Land der am meisten entwickelten Sozialdemokratie zu schützen vor der drohenden Knechtschaft durch Russland“. (Julian Borchardt: Vor und nach dem 4. August 1914. Hat die deutsche Sozialdemokratie abgedankt? 3. Auflage Berlin Lichterfelde, 1915)

Man hat den Eindruck, als sei die heute hochaktuelle Spannungssituation zwischen Russland und Deutschland / EU und ihre mediale Aufarbeitung in den Grundzügen schon über 100 Jahre alt. Übrigens war der Weg in den Ersten Weltkrieg europaweit gepflastert mit der Dämonisierung der jeweils anderen Mächte, gepaart mit heftigem Rassismus.

Menschenrechtsverletzungen also als angeblicher Grund, Kriege vom Zaun zu brechen und Menschenrechte als Opfer der Kriege. Dieser Widerspruch hat die Friedensbewegung vor 20 Jahren (Bosnien-Krieg) und danach immer wieder erneut tief gespalten und dezimiert. Vorbei die Zeit, in der Friedensarbeit zu einfachen, klaren und eindeutigen Aussagen kam wie noch zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses.

Dennoch: Bei näherer Hinsicht ergibt sich ein eindeutiges Bild: Menschenrechte interessieren, wenn sie beispielsweise zur Aneignung von Ölquellen und von seltenen Erden instrumentalisiert werden können oder zur Öffnung geostrategischer Verbindungsachsen. Ist dies nicht unmittelbar der der Fall oder erscheint eine Intervention nicht opportun, werden Menschen ohne große öffentliche Teilnahme massakriert, sie verhungern und verdursten „unbemerkt“. Die Hutu-Tutu-Katastrophe in Ruanda ebenfalls vor 20 Jahren mag als Beispiel dienen. Seither wird eine völkerrechtliche Debatte um die Responsibility to Protect (Schutzverantwortung) zur Erleichterung von Interventionen geführt.

Trotz der eigentlich klaren Grundursachen moderner Kriege ist die Situation in Zeiten des „Krieges gegen Terror“ und des neu aufkeimenden „Kalten Krieges“ hochkomplex.

Das verführt zu simplen Erklärungsversuchen, deren Gipfelpunkte monistische Verschwörungstheorien sind, die nun auch vermehrt in die Friedensbewegung infiltrieren.

Wer den Frieden will, muss sich ein realistisches Bild über bestehende Interessenslagen und -kollisionen machen. Wer Frieden will, wird dem Grundsatz folgen, dass mit militärischen Mitteln Konflikte nicht gelöst werden können. Wer Frieden will, wird das Völkerrecht achten und auf seiner Einhaltung bestehen. Wer Frieden will, wird die Vereinten Nationen und auch die lange Zeit in Vergessenheit geratene OSZE als Konfliktlösungsrahmen verteidigen und sie nicht blockieren oder das Völkerrecht nach Belieben interpretieren. Selbst die NATO hatte einmal einen Kooperationsrahmen mit Russland.

All dies scheint die Bundeskanzlerin vergessen zu haben. Sie zündelt. Während EU und NATO ihre Einflusssphäre nach Osten ausgedehnt haben, wirft sie Russland vor, seine Einflusssphäre nach Westen ausdehnen zu wollen und auch in anderen ehemals sowjetischen Ländern „Probleme zu machen“. In vielen Medien ertönt wieder die kriegslüsterne Frage: „Wie lange wollen wir noch zuschauen?“. Aus der ebenfalls komplexen Krim-Krise wird umstandslos ein russischer Annexionswille gegenüber halb Europa konstruiert.

Am 5. Oktober veröffentlichten 60 Persönlichkeiten - durchaus auch aus dem konservativen Lager, auch ehemalige Regierungsmitglieder, und selbst ein Horst Teltschik - den dramatischen Appell: Ukraine-Krise "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" Darin heißt es: „Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.“ (ZEIT ONLINE 05.12.2014)

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde

Am Tag der Menschenrechte gibt es allen Grund, auf eine wesentliche Voraussetzung für anhaltenden Frieden hinzuweisen: Ohne soziale Gerechtigkeit in den Gesellschaften und ohne wirtschaftlichen Ausgleich in den Beziehungen zwischen den Staaten und Nationen kann es keinen Frieden geben. Das ist eine einfache und klare Aussage. Das hat sich schon nach dem Vertrag von Versailles bewahrheitet, der die Fortsetzung der europäischen Katastrophe durch den Nationalsozialismus forcierte. Diese simple Wahrheit trifft auch auf Israel und Palästina zu, ebenso zu wie z.B. auf den Kurden-Konflikt in der Türkei. Frieden in Afrika kann nicht auf der Ausplünderung des Kontinents durch die industriellen Großmächte basieren. Der Kampf um endliche Rohstoffe kann nur entmilitarisiert werden, wenn es zu einem internationalen Ausgleich kommt.

Am Tag der Menschenrechte ist in der Bundesrepublik insbesondere darauf hinzuweisen, dass der sehr unterschiedlich verteilte aber gegenüber anderen Weltregionen relative Wohlstand in Zentraleuropa und der scheinbare Frieden erkauft sind mit unhaltbaren Zuständen an und jenseits der EU-Außengrenzen mit militärisch gesicherten Stacheldrahtzäunen. Er ist erkauft mit verheerenden landwirtschaftlichen Monokulturen in Afrika, Südamerika und Asien, er ist erkauft mit unhaltbaren menschenfeindlichen Produktionsbedingungen z.B. in der asiatischen Textilindustrie. Vom Krieg um die Rohstoffe weit vor den Grenzen Europas war schon die Rede. Die dramatischen ökologischen Verwerfungen sind in diesem System mit inbegriffen. Der Kolonialismus hat sein Gesicht und seine politische Organisationsform gewandelt, aber nicht sein Wesen. Er bietet keine Basis für Frieden, er erzeugt weltweite Wut und Empörung auf „den Westen“ und diese Wut sucht sich auch ihre religiösen Ausdrucksformen.

Ein Menetekel dieser unhaltbaren Zustände sind die wieder zunehmenden Flüchtlingsbewegungen. Die Flüchtlinge sagen: „Wir sind bei euch, weil ihr bei uns seid.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf.

Das Mindeste ist, dass diejenigen Flüchtlinge, die beim Versuch der Überwindung der europäischen Außengrenzen durchkommen, hier anständig aufgenommen werden. Die Profiteure der weltweiten Ungerechtigkeit haben hierfür zu zahlen! 207.000 Menschen sind allein in diesem Jahr laut heutiger Meldung des UNHCR auf der lebensgefährlichen Mittelmeerroute nach Europa gekommen. 3.700 Menschen sind auf dieser Route in diesem Jahr bisher umgekommen.

Am Tag der Menschenrechte sei abschließend noch eines hervorgehoben: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit und Frieden bedarf keiner religiösen Übersteigerung oder ethnischer Konfliktstrategien. Im Gegenteil: Religiöse Ultraorthodoxien, aber auch der Kampf gegen bestimmte religiöse Richtungen vernebeln und verfinstern den Kampf um soziale Gerechtigkeit und Frieden. Gleiches gilt für die Anstachelung ethnischer Konflikte. Wir brauchen keine Nationalisten, die den deutschen Sozialhilfeempfängern erklären, sie seien so arm, weil es auch türkischstämmige und Roma-Sozialhilfeempfänger gebe. Wir brauchen auskömmliche Sozialhilfe für alle, die darauf angewiesen sind. Die finanziellen Mittel sind in der Gesellschaft mehr als vorhanden! Wir brauchen in der Einwanderergesellschaft, die die Bundesrepublik nun einmal ist, keine Ideologen, die ethnische Konflikte rassistisch schüren. Wir brauchen keine islamistischen Hassprediger und wir brauchen keine sogenannte „abendländischen“ Hetzer gegen den Islam; wir brauchen keine Antisemiten. Wir brauchen keine Rassisten. Vor allem brauchen wir all diese nicht in der Friedensbewegung! Wir brauchen Kämpferinnen und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und Frieden! Wir brauchen Widerstand gegen alle militaristischen Versuche, Interessengegensätze durch Krieg zu lösen. Lasst uns in diesem Sinn gemeinsam für den Frieden einstehen, auch in schwierigsten Gemengelagen!