Kampf der Gesundheitsarmut! Kinderärzt*innen und Hebammen in armen Mannheimer Stadtteilen

Irmgard Rother

Im Januar 2021 berichteten wir im Kommunalinfo-Mannheim* über die Verteilung der Kinderarztpraxen auf

die Mannheimer Stadtteile. Der damalige IST-Zustand blieb unverändert. Der Artikel endete mit der Einschätzung, dass es bis zur Verbesserung dieses offensichtlichen Missstandes ein sehr steiniger Weg sein wird. Mittlerweile sind die ersten, mühsamen Schritte in diese Richtung erreicht. Erste Erfolge zeichnen sich ab.

Wie bisher: Keine einzige Kinderarztpraxis in den armen Mannheimer Stadtteilen.
Doch in den Stadtteilen am anderen Ende der sozialen Stufenleiter bietet sich den Eltern eine reiche Auswahl für die ärztliche Versorgung ihrer Kinder.

Die Gründe dafür sind banal: Ärzte haben „Niederlassungsfreiheit“ in der Auswahl des Standortes ihrer Praxis; wohlhabende Stadtteile bieten mehr Möglichkeiten für kleine Extra-Einnahmen (durch sogenannte „Igel“-Verordnungen) und mehr
Privatpatient*innen als Wohngebiete mit vielen armen Menschen. In Summe gibt es zwar für das gesamte Mannheimer Stadtgebiet eine ausreichende Anzahl von (Kinder-)arztpraxen. Aber die Verteilung folgt dem Geld.
Bereits im September 2019 hatte der Mannheimer Fachbereich Jugend- und Gesundheitsamt dem Gemeinderat einen ausführlichen Bericht über diesen eklatanten Missstand vorgelegt und
erforderliche Handlungsmaßnahmen benannt. Doch bei keiner Fraktion lösten diese Darlegungen irgendwelche Aktivitäten im Gemeinderat aus. Der Bericht verschwand in den Schubladen.
Am 2. Juli 2020 fragte die Li.Par.Tie-Fraktion den Gemeinderat „ob es eine aktuelle, konkrete Bedarfsermittlung darüber gibt, welche Arztgruppen in welchen Mannheimer Stadtteilen erforderlich
sind“. Die Antwort der Verwaltung verwies am 24.9.2020 im Jugendhilfe- und Gesundheitsausschuss auf den im September 2019 vorgelegten Bericht nebst Handlungsempfehlungen. Auch jetzt gab‘s
keine keine Resonanz von anderen Fraktionen im Gemeinderat - außer von der Li.Par.Tie. Vor einem Jahr - zur Gemeinderatssitzung am 24.11.2020 - forderte die LiParTie in einem Antrag,
dass

1. ... die Stadtverwaltung ein Konzept erarbeite für eine gute gesundheitsrelevante Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche in den armen Mannheimer Stadtteilen
2. ... die Stadtverwaltung Planstellen einrichten soll für Hebammen und Kinderkrankenschwestern, um eine ausreichende Familienbetreuung nach der Geburt eines Kindes auch in den armen Stadtteilen sicherzustellen.

Dieser Antrag – zusammen mit einer Anfrage der GRÜNEN zur „Situation der Hebammenversorgung in Mannheim“ stand bei der Sitzung des Jugendhilfe- und Gesundheitsausschusses am 25.3.2021
auf der Tagesordnung. Die Fachverwaltung begrüßte die Forderung nach einem „Konzept“ und  verwies darauf, dass seitens des Gemeinderates der politische Wille zur Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen erforderlich sein müsse und neben der Stadtverwaltung auch andere Akteure des Gesundheitswesens einzubinden seien.
Und die Hebammenversorgung? Auch hier befand der Fachbereich, dass „die Versorgung ausbaufähig“ sei – vor allem für die armen Stadtteile; die Einrichtung der geforderten Planstellen sei „aus fachlicher Sicht wünschenswert“ und könne „nach Zurverfügungstellung der erforderlichen Finanzmittel umgesetzt werden“ Und weiter: „Dies setzt jedoch einen Beschluss des Gemeinderates voraus“.Im Juni 2021 tagte der einmal jährlich stattfindende Fachaustausch des Lenkungskreises der „Kommunalen Gesundheitskonferenz“ mit den gesundheitspolitischen Sprecher*innen der Fraktionen. Die Kommunale Gesundheitskonferenz Mannheim ist ein Zusammenschluss von Akteur*innen aus den Themenbereichen Medizinische Versorgung, Pflege, Rehabilitation, Bürger*innen, Gesundheitsförderung und Prävention unter der Leitung des Fachbereichs Jugendamt und Gesundheitsamt. Auch hier: Bestätigung des Anliegens, die Bedarfslage für eine bessere gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Stadtteilen mit hohem Anteil von prekär lebenden Menschen zu verbessern.

Licht am Ende des Tunnels?
Bei der Sitzung des Ausschusses für Bildung und Gesundheit am 15.7.2021 bekräftigte der Fachbereich erneut diesen Bedarf und zeigte sich offen, dass „neue innovative Ideen entwickelt werden, um die gesundheitliche Chancengleichheit in Mannheim weiter voran zu treiben“. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Li.PAR.Tie, Nalan Erol, verwies in diesem Zusammenhang zum wiederholten Male auf die Expertise der „Poliklinik Hamburg-Veddel“ – ein bereits seit Jahren funktionierendes soziales Stadtteil-Gesundheitszentrum (http://poliklinik1.org/) Die Fachverwaltung kündigte an, das Thema im Rahmen der Kommunalen Gesundheitskonferenz (2022) aufzugreifen und einen entsprechenden Prozess dazu aufzulegen.

Zu allem Überfluss die Pandemie
Seit März 2020 grassiert die aktuelle Pandemie. Viele Angebote des Gesundheitsamtes (z.B. „Frühe Hilfen“ – vor- und nachgeburtliche Betreuung der Familien) konnten pandemiebedingt nicht ausgeführt werden. Das wirkt sich in verstärktem Maße in den Stadtteilen mit hohen sozialen Problemlagen aus und legt schonungslos die vorhandenen Mängel offen.

Wie geht es jetzt weiter?
Bereits zur Gemeinderatssitzung am 24.11.2020 beantragte die Li.PAR.Tie die Einrichtung von Planstellen für Hebammen und Kinderkrankenschwestern – vordringlich für die Versorgung in armen Mannheimer Stadtteilen (siehe oben). Zum wiederholten Male Zustimmung des Gesundheitsamtes, doch kein Beschluss des Gemeinderates, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Deshalb bekräftigte die Li.PAR.Tie. im Juni 2021 dieses Anliegen in einem weiteren, differenzierteren Antrag: Planstellen für „Gesundheitsfachkräfte für die Stadtteile im Sozialraum V“ einzurichten. Derzeit gibt es bei der Stadt Mannheim keine Stellen für solche „Familienhebammen oder Familienkrankenschwestern mit entsprechender Zusatzqualifikation“, obwohl das Bundeskinderschutzgesetz seit dem Jahr 2012 die Kommunen verpflichtet, interdisziplinäre und multiprofessionelle Netzwerke vorzuhalten, zu denen zwingend auch Gesundheitsfachkräfte gehören. Eine konkrete Bedarfsermittlung für die Stadtteile des Sozialraums V soll Grundlage für die Einrichtung entsprechender Stellen herstellen.
Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Gesundheitsausschusses am 23.9.2021 ausführlich behandelt und von fachlicher Seite ausdrücklich unterstützt. Jetzt fehlt nur noch die Zustimmung des Gemeinderates.

Jetzt kommt es auf die Haushaltsberatungen an
In den nächsten Tagen stehen Haushaltsberatungen des Mannheimer Gemeinderates für das kommende Jahr an. Um überhaupt erstmal ansatzweise den Bedarf nach den erforderlichen Gesundheitsfachkräften im Haushalt abzubilden, hat die Li.PAR.Tie die Einrichtung zunächst einer Stelle beantragt. Die nächsten Haushaltsberatungen stehen bereits im Dezember 2022 an, da muss dann nachgelegt werden.
Man wird sehen, ob dieses Anliegen eine Mehrheit findet.

https://kommunalinfo-mannheim.de/2021/12/08/kampf-der-gesundheitsarmut-kinderaerztinnen-und-hebammen-in-arme-mannheimer-stadtteile/

https://kommunalinfo-mannheim.de/2021/02/01/kinderarztpraxen-in-mannheim-im-durchschnitt-genug-aber-die-verteilung/