Leben und Arbeiten in einer Werkstatt für Behinderte - Fluch oder Segen?

Am 12. Oktober fand im Volkshaus in Mannheim-Neckarau eine Podiumsdiskussion der Landesarbeitsgemeinschaft "Selbstbestimmte Behindertenpolitik" der Partei DIE LINKE in Baden-Württemberg statt. Thema der Veranstaltung waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM).

Auf dem Podium saßen neben Moderator Michael Seiter der Behindertenbeauftragte der Stadt Mannheim, Klaus Dollmann, Stephan Lorent (Sprecher der LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der LINKEN in Baden-Württemberg), Andreas Bollmer (Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Werkstatträte) und Andreas Scheibner, Mitarbeiter einer Werkstatt für behinderte Menschen.Die Veranstaltung fand zwar nur vor 20 Zuhörern - vorwiegend Betroffene - statt. Trotzdem entwickelte sich eine interessante und lebhafte Diskussion. Es zeigte sich, dass die Werkstätten für behinderte Menschen mitnichten ein randständiges Problem sind, als das es gemeinhin betrachtet wird. Inzwischen arbeiten rund 300.000 Menschen in solchen Einrichtungen - Tendenz steigend. 1994 waren es erst 160.000 Menschen. Einig waren sich die Diskutanten, dass es nicht darum gehe, die Werkstätten abzuschaffen. Für manche Menschen seien sie lebensnotwendig. Allerdings sei die extrem niedrige Quote von 0,7% auf dem ersten Arbeitsmarkt ein Skandal. 

Das offizielle Ziel der Politik sei mittelfristig eine Vermittlungsquote von fünf bis zehn Prozent. Von diesem eigentlich sehr niedrigen Ziel sei man meilenweit entfernt. Politische Maßnahmen seien dringend notwendig. "Jeder Behinderte sollte ein Recht auf einen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt haben. Werkstätten sollten nicht abgeschafft werden, sondern an den ersten Arbeitsmarkt angeschlossen werden", so Stephan Lorent. Unternehmen, die zu wenig Behinderte einstellen, müssten stärker sanktioniert werden. Von Andreas Bollmer und den anderen Diskussionsteilnehmern wurde der monatliche Durchschnittsverdienst von 159 € als viel zu niedrig und als zentrales Problem dargestellt. Acht Euro, so Andreas Scheibner, sollte als Mindestlohn durchgesetzt werden, der dann auch für die Werkstätten gelten sollte.

In der Diskussion wurde außerdem auf die Notwendigkeit einer ausreichenden Grundsicherung bei Erwerbslosigkeit hingewiesen. Stephan Lorent forderte in diesem Zusammenhang, dass das Recht auf Arbeit - nicht zu verwechseln mit dem Zwang zur Arbeit - im Grundgesetz verankert werden müsste. Die WfBMs sind mittlerweile zu einem lukrativen Wirtschaftszweig geworden. Großkonzerne wie die der Automobilindustrie oder die Heidelberger Druckmaschinen lassen dort produzieren. Laut Wolfgang Hamann von ver.di Rhein-Neckar bringt jeder Arbeitsplatz einer WfBM durchschnittlich 1200 € für den Träger. 1,5 bis 2 Milliarden Euro werden operativ umgesetzt. "Werkstättenträger scheuen wie der Teufel das Weihwasser, die Zahlen offenzulegen. Wichtig ist Offenheit und Transparenz". Carsten Labbudda, Sprecher der LINKEN in Weinheim, wies in diesem Zusammenhang auf das "Informationsfreiheitsgesetz" hin, das Möglichkeiten böte, um an diese Informationen heranzukommen.

Der Grundstein für die Aussonderung der Behinderten wird in den Sonderschulen gelegt. Während in Deutschland die überwiegende Mehrheit der Behinderten in Sonderschulen abgesondert werden, sind in Skandinavien 80% aller Behinderten in der Regelschule. Ähnliche Zahlen gelten dort für die Beschäftigungsquote auf dem ersten Arbeitsmarkt. Man sieht also, dass Erfolge möglich sind. In Deutschland ist Baden-Württemberg trauriges Schlusslicht. Im Vergleich hierzu steht Rheinland-Pfalz wesentlich besser da. "Bildung von Anfang an ist wichtig", so die Grüne Mannheimer Stadträtin Gabi Thirion-Brenneisen. In der Diskussion wurde daraufhin gewiesen, dass es bei allem Gegenwind in den bisherigen Auseinadersetzungen auch Erfolge gebe. In Mannheim gibt es z.B. seit einigen Jahren mit Klaus Dollmann einen engagierten Behindertenbeauftragten und eine Arbeitsgemeinschaft Barrierefreiheit, die in wichtigen kommunalpolitischen Fragen, wie z.B. Ausstattung von Straßenbahnen oder Gebäuden sich Gehör verschaffen. Als Fazit bleibt: Behindertenpolitik ist kein randständiges Problem, sondern geht alle an. Wir stehen erst am Anfang. Packen wir es an!