LINKE fordert Sanktions-Moratorium beim JobCenter Mannheim

DIE LIKE im Mannheimer Gemeinderat fordert in einem Antrag, dass bis auf Weiteres die Verhängung von Sanktionen beim JobCenter Mannheim ausgesetzt wird. Außerdem soll die Verwaltung darüber informieren, wie viele Sanktionen aus welchem Grund seit 2013 verhängt wurden, wie viele Gerichtsverfahren in diesem Zusammenhang angestrengt wurden und wie diese ggf. ausgingen.

Die beiden linken Stadträte Gökay Akbulut und Thomas Trüper sehen sich mit ihrem Antrag durch das Sozialgericht Gotha bestätigt. Dessen 15. Kammer hatte unter dem Aktenzeichen S 15 AS 5157/14 mit Beschluss vom 26. Mai 2015 ein Verfahren gegen das JobCenter Erfurth bis zur weiteren Klärung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt, weil es vermutet, dass die Sanktionsparagrafen 31 und 32 möglicherweise verfassungswidrig seien.

Fragen des Sozialgerichts Gotha an das Bundesverfassungsgericht:

„1. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II (…) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60% des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regel-bedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt?

2. (…)insoweit mit Art.2 Abs.2 S.1 GG vereinbar, als Sanktionen, wenn sie zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen, gegen das Recht auf Leben und körperliche

Unversehrtheit verstoßen?

3. (…) insoweit mit Art. 12 GG vereinbar, als Sanktionen gegen die Berufsfreiheit verstoßen?“

Verweigerung des Existenzminimums und sinnloses „Fordern“

Neben der endlich von einem Gericht geäußerten Vermutung, die Verweigerung des Existenzminimus verstoße gegen das Grundgesetzt, gibt es einen weiteren Grund, den die linken Stadträte für ihren Antrag ins Feld führen: Die Willkür des „Forderns“.

Unter der Maßgabe: „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ werden Leistungen nach SGB II nur gewährt, sofern die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sich lückenlos allen Vorgaben der SachbearbeiterInnnen des Jobcenters unterwerfen, auch wenn z.B. die Sinnhaftigkeit und Qualität verordneter Maßnahmen durchaus anzuzweifeln sind. Sprichwörtlich sinnlos sind die „Bewerbungstrainings“ in Serie, denen sich viele Erwerbslose im JobCenter aussetzen müssen. Außerdem werden die Erwerbslosen häufig zur Arbeitsaufnahme unter einem für ArbeitnehmerInnen nicht akzeptablen Sozialstandard und oft auch in großer Entfernung vom Wohnort gezwungen. Dies leitet sich aus den sog. Zumutbarkeitsgelungen des § 10 SGB II ab.

Sonderthema „JumpPlus“: Sogar die ARD interessiert sich

Ein besonderer Missstand, den die LINKE in Mannheim schon lange kritisiert, sind die Verfahrensweisen gegenüber erwerbslosen Menschen unter 25 Jahren. Aus dem Recht auf Ausbildung bzw. Arbeit dieser Menschen (§ 3 Abs. 2 SGB II) wird eine sofortige Arbeits- oder Maßnahmenpflicht abgeleitet. Dieser Zwang wird am Mannheimer JobCenter im Bereich „Junges Mannheim“ („JumpPlus“) besonders „erfolgreich“ umgesetzt mit dem Ergebnis einer Jugendarbeitslossenquote von unter 1%. Besagter Paragraf lautet: „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind unverzüglich nach Antragstellung auf Leistungen nach diesem Buch in eine Ausbildung oder Arbeit zu vermitteln.“

Im Juni sendete die ARD im Morgenmagazin kurz vor der OB-Wahl eine am JobCenter Mannheim gedrehte Kurzreportage: Wir funktioniert die bundesweit einmalig niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Mannheim, und funktioniert sie immer noch, nachdem eine erste PR-Kampagne der Stadtverwaltung vor zwei Jahren diese Sonderstellung publik gemacht hatte. Gezeigt wurde ein junger Mann, Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, der nach seiner erfolgreichen Ausbildung in einem Metallberuf einen Arbeitsvertrag erst zum 1. September bekommen hat. Er wurde bis dahin in eine Logistik-Trainingsmaßnahme in eine Übungsfirma des Mannheimer Maßnahmenträgers „ad laborem“ (zu deutsch: „an die Arbeit!“) eingewiesen. Sonst hätte er bis zum 1. September die Arbeitslosenquote „belastet“. Der junge Mann zeigte sich in der Reportage äußerst kooperativ. Andere rebellieren gegen derart sinnlose Einsätze. DIE LINKE hatte übrigens vom SWR eine Anfrage bekommen, ob sie JumpPlus-Klienten zwecks Interview für diese Sendung vermitteln könne. Sie konnte, allerdings griff man nicht auf das Angebot zurück. Da hätte z.B. eine junge Frau mit Realschulabschluss berichten können, wie sie tagelang in einer „Maßnahme“ herumsaß, um Dreisatzrechnen zu üben.

JumpPlus mit seinem „Angebot am ersten Tag“ verhindert reihenweise, dass junge Erwerbslose („erwerbsfähige Hilfebedürftige“) eine Chance bekommen, sich erst mal beim Arbeitsamt mit der dortigen qualifizierten Beratung nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz umzuschauen. Stattdessen werden sie sofort in Trainingsmaßnahmen mit minimalstem oder sogar ohne Qualifizierungsanspruch gedrängt.

Sogar der 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung vom Jan. 2013 kritisiert diesen Mechanismus mit vorsichtigen Worten:

„Faktisch erweist sich das Angebot an Leistungen und Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung junger Menschen in prekären materiellen Lagen als zu undifferenziert und wenig tragfähig und kommt – angesichts der Überlastung des Personals in den Jobcentern und Arbeitsagenturen – entgegen den ursprünglichen Absichten der Gesetzgebung deutlich zu kurz. Demgegenüber wird die verschärfte Sanktionspraxis gegenüber jungen Menschen unter 25 Jahren ganz offensichtlich ohne Abstriche umgesetzt mit der Folge, dass die Gewichte zwischen Fordern und Fördern aus der Balance geraten. Hier deutet sich ein erheblicher Nachjustierungsbedarf sowohl im Wirkungskreis des SGB II als auch vor allem in der Abstimmung zwischen den Ansätzen und Angeboten im Wirkungskreis von SGB VIII, SGB II und SGB III an.“ (Deutscher Bundestag Drucksache 17/12200, Seite 227)

Das Menschenbild des SGB II ist pauschal negativ und verkennt tatsächlich Hilfsbedürftige

Die Sanktionen nach SGB II dienen der Dressur und Beugung von erwerbslosen Menschen unter die Regie des Forderns. Pauschal werden alle „Hilfebedürftigen“ gleichgesetzt mit Menschen, die von ihrer oft langjährigen oder sogar ererbten Situation bereits so geschädigt sind, dass ihnen z.B. die „Tagesstruktur“ abhandengekommen ist. Dass diese Menschen sehr häufig mittlerweile (z.T. auch psychisch) erkrankt und verzweifelt sind, erfordert keine Dressurakte, sondern echte Hilfe und Betreuung. Dies zu erkennen liegt meist außerhalb der Kompetenzen von MitarbeiterInnen der JobCenter. Viele Menschen, die eigentlich gar nicht „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung“ stehen, werden nach SGB-II-Regie traktiert, anstatt ihnen eine Rehabilitation zu gewähren. Das betrifft alle, nicht nur die unter 25-jährigen „Hilfebedürftigen“, die manches mal gar nicht „erwerbsfähig“ sind.

Fazit: Fördern!

Die Stadt Mannheim sollte mit allen verfügbaren Mitteln die Kultur des „Förderns“ stärken, um erwerbsfähigen Hilfebedürftigen den Weg in eine menschenwürdige und auskömmliche Erwerbsarbeit zu ermöglichen, und nicht wirklich erwerbsfähigen Personen gezielte Hilfsmaßnahmen zugutekommen zu lassen. Sanktionen sind lediglich ein Mittel zur Durchsetzung der seit „Hartz“ massiv verschlechterten Arbeitsmarktkonditionen und der konkreten Arbeitsbedingungen.

Aus Sicht der JobCenter sparen Sanktionen Geld, Fördern dagegen kostet Geld. Aus Sicht der Betroffenen und bei langfristiger (selbst volkswirtschaftlicher) Betrachtungsweise ist es jedoch genau umgekehrt.

Stadtrat Thomas Trüper